"Wir haben die Wirtschaft auf unserer Seite"

Interview von Carole Dieschbourg im L'essentiel

Interview: L'essentiel (Stefanie Braun)

L'essentiel: Lux lebt seit dem 19. Februar, dem Overshoot Day, theoretisch auf "Öko-Pump" — Wie wichtig sind solche Daten für Politik und Wirtschaft?

Carole Dieschbourg: Uns muss bewusst werden, wie viel Ressourcen wir verbrauchen. Auch theoretische Daten wie diese sind ein Anhaltspunkt, um ein solches Bewusstsein zu schaffen. Natürlich kann man über den Overshoot Day diskutieren, aber er zeigt, dass wir in Luxemburg auf sehr großem Fuß leben und einen entsprechend großen ökologischen Fußabdruck hinterlassen.

L'essentiel: In Zelten von Klimawandel-Leugnern und weltweiten Protestaktionen ist das Thema Umweltschutz ja sehr aufgeladen.

Carole Dieschbourg: In den letzten Jahren ist eine Bewegung entstanden, in der gerade junge Leute uns Politikern sagen, dass wir eine Verantwortung tragen, hinsichtlich des Klimawandels und -schutzes. Und das wir damit aufs Gas drücken müssen. Allerdings sind wir auf internationaler Basis nicht so schnell, eben aufgrund von Skeptikern und verschobenen politischen Prioritäten. Natürlich macht einem das Angst, wenn Populismus wissenschaftliche Beweise einfach wegwischen kann, aber wir müssen immer wieder dagegen halten. Wir haben die Wissenschaft auf unserer Seite — und mittlerweile auch die Wirtschaft.

L'essentiel: Wie will sich die Wirtschaft in den Umweltschutz einbringen?

Carole Dieschbourg: Gerade in Luxemburg interessiert man sich dafür, wie man einen nachhaltigen Finanzplatz kreieren kann. Es gibt eine Art Wettrennen der großen Finanzplätze, wer sich grüner aufstellt. 50 Prozent aller Greenbonds sind in Luxemburg an der Börse. Das sind große Investitions- und Fondmöglichkeiten, über die in der Wirtschaft auch gesprochen wird. Politik gibt hier Rahmen vor und wenn der Rahmen gut ist, dann wird die Wirtschaft ihre Chancen entwickeln. Aber es ist wichtig, dass wir nicht Umwelt und soziale Politik gegeneinander ausspielen.

L'essentiel: Wie darf ich mir eine "grüne Wirtschaft" vorstellen?

Carole Dieschbourg: Wir haben eine Studie zum Thema Kreislaufwirtschaft gemacht, die gezeigt hat, dass eine "nachhaltige Wirtschaft" neue Jobs kreieren kann. All diese neuen Bereiche müssen aber auch finanziert, versichert und abgesichert werden und da kommt unsere massive Finanzindustrie ins Spiel.

L'essentiel: Gerade wird diskutiert, ob eine Joghurtfabrik gebaut wird, auf der anderen Seite dürfen Verbrauchern keine dünnen Plastiktüten mehr bekommen: Wieviel Umweltschutz trägt der Verbraucher, wieviel Firmen?

Carole Dieschbourg: Unsere Aufgabe ist es, im Blick zu behalten, ob ein Unternehmen die Normen einhält. Wir erwarten die modernste Technologie und haben klare Regeln. Firmen müssen sich an diese Regeln halten. Man bekommt in keinem Geschäft — das sind ja auch Wirtschaftsakteure — mehr Plastiktüten, weil es ein umweltschädliches Verhalten ist.  Nicht nur der Verbraucher stellt hierbei um, alle müssen sich an die Gesetzgebung halten. Nur wenn alle mitarbeiten ist es möglich, den Wandel in der Gesellschaft hinzukriegen, den wir brauchen. Gewohnheiten und Geschäftsmodelle können sich ändern, das einzige, was wir nicht ändern können, sind die Grenzen unseres Planeten.

L'essentiel: Warum wäre Luxemburg eine ideale "Testfläche" für eine 100 prozentige Bio-Landwirtschaft?

Carole Dieschbourg: Luxemburg hat eine Größe, in der man schnell reagieren und Trends vorgreifen kann. Ich sehe in dieser Idee eine Möglichkeit, sich von anderen Regionen zu unterscheiden. Ganz nebenbei wäre es ein Super-Marketing, wenn man das erste Land Europas wäre, was 100 Prozent Biolandwirtschaft betreibt. Wir wollen bis 2025 auf 20 Prozent Biolandwirtschaft kommen. Momentan sind es nur 4 Prozent. Bis 2050 sollen es 100 Prozent werden. Das ist machbar, aber wir müssen heute damit anfangen.

L’essentiel: Der Gratistransport in Luxemburg zählt mit in den Umweltaspekt, doch bringt dieser wirklich etwas, wenn die ländliche Bevölkerung kaum angebunden ist?

Carole Dieschbourg: Gepaart mit dem Gratistransport ist immer, dass das Angebot stimmt. Gratis würde nichts helfen, wenn wir nicht auch die Investitionen in den öffentlichen Verkehr erhöhen. Diese waren noch nie so hoch wie heute. Gerade im ländlichen Raum muss viel investiert werden, genauso wie am Hauptbahnhof Luxemburg. Wir haben da eine Situation geerbt, in der über Jahre nichts am Schienennetz getan, dafür viel in Straßen investiert wurde. Deswegen kommen wir heute schneller mit dem Auto von A nach B. Mit dem kostenlosen Transport haben wir eine soziale Barriere entfernt, aber das eine geht nicht ohne das andere. Das Angebot zu vergrößern und der Ausbau von Mobilität ist gerade für junge Leute und weniger Verdienende wichtig.

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