Interview von Carole Dieschbourg im Luxemburger Wort

"Keine Angst vor hohen Ambitionen"

Interview : Luxemburger Wort (Marc Schlammes)

Luxemburger Wort: Die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Klimaneutralität als Ziel bis 2050 ausgegeben. Zuletzt haben ein paar EU-Staaten diese Zielsetzung allerdings zu einer Fußnote degradiert. Was stimmt Sie optimistisch, dass die Europäische Union in diesem Punkt doch noch mit einer Stimme sprechen wird?

Carole Dieschbourg: Erst einmal will ich unterstreichen, dass diese Zielsetzung für Luxemburg nichts Neues ist und schon Ende 2018 von den drei Regierungsparteien ins Koalitionsabkommen eingeschrieben wurde.

Was mich auf europäischer Ebene optimistisch stimmt, ist, dass mittlerweile 24 Länder diesem Ziel zustimmen; im März dieses Jahres waren es gerade mal sechs bis acht EU-Staaten. Selbst bei den Bremsern setzt sich zunehmend das Bewusstsein durch, dass wir im Klimaschutz über keinen doppelten Boden verfügen und zum dringenden Handeln verdammt sind. Mit Blick auf den Climate Action Summit Ende September in New York und die kommende Weltklimakonferenz in Chile werden wir nun hart daraufhin arbeiten, damit die Europäische Union ihrer Leaderrolle gerecht wird.

Luxemburger Wort: Beispielsweise ...

Carole Dieschbourg: ... in der Klimafinanzierung, wo die EU heute schon der zuverlässigste Partner für die am meisten vom Klimawandel betroffenen Staaten ist und Luxemburg selbst mit über 200 Euro pro Einwohner vorbildlich handelt.

Luxemburger Wort: Luxemburg gibt sich auch mit seinem Energie- und Klimaplan äußerst ambitiös. Sind dessen Ziele, - 50/55 Prozent CO2 und 23 Prozent erneuerbare Energien bis 2030, nicht zu hoch gegriffen angesichts der reellen Entwicklung?

Carole Dieschbourg: Zu dieser reellen Entwicklung gehört auch die große Bereitschaft der Gesellschaft, sich für konkreten Klimaschutz einzusetzen, ob es nun die Jugend ist, die dafür auf die Straße geht, oder die Wirtschaft, die entsprechende Investitionen tätigt. Ein anderer wichtiger Teil dieser reellen Entwicklung sind die Technologien, die mittlerweile derart fortgeschritten sind, dass sie eine effiziente Energie- und Klimapolitik möglich machen. An der Politik liegt es, die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen und klare Botschaften zu vermitteln, damit das Unterfangen gelingt. Ich habe keine Angst vor hohen Ambitionen. Diese geben wir uns mit unserem Klima- und Energieplan und den darin enthaltenen Zielen und Zwischenetappen für die einzelnen Bereiche ...

Luxemburger Wort: ... allen voran wohl die Mobilität, die den Löwenanteil an CO2-Emissionen verbucht ...

Carole Dieschbourg: ... und wo wir in den zurückliegenden fünf Jahren zusammen mit Ressortminister François Bausch ein hohes Investitionsvolumen bewältigt haben, um Alternativen zu schaffen, sei es im öffentlichen Transport, sei es mit der sanften Mobilität oder sei es bei der Förderung der Elektromobilität.

Luxemburger Wort: Alternativen, ob in der Mobilität oder vor allem im Wohnungsbau, müssen sich die Menschen auch leisten können.

Carole Dieschbourg: Der soziale Aspekt ist von enormer Bedeutung. Wir müssen darauf achten, dass wir niemanden verlieren. Die Klima- und Energiefrage ist auch eine Frage des Zusammenhalts und der Gerechtigkeit. Wir benötigen günstige Technologien, deshalb benötigen wir auch eine starke Unterstützung der Forschung, um die bestmöglichen Technologien zu entwickeln.

Luxemburger Wort: Hohe Erwartungen knüpft die Regierung an die Begrünung des Finanzplatzes. Setzt man sich dadurch nicht der Kritik aus, dass man sich über diesen Weg freikauft, ohne die eigentlichen Hausaufgaben zu erfüllen?

Carole Dieschbourg: Unser finanzielles Engagement ist sehr vielseitig und fester Bestandteil der Klimapolitik. Luxemburg überweist seinen Anteil und hält sich an das Versprechen, das die Industriestaaten bereits 2009 in Kopenhagen gegeben haben, um die am meisten vom Klimawandel betroffenen Staaten mit jährlich 100 Milliarden Dollar zu unterstützen. Da auch das private Engagement wichtig ist, um eine Hebelwirkung zu erzielen, sind wir eine Partnerschaft mit der Europäischen Investitionsbank eingegangen; über diesen Weg können für innovative Projekte, beispielsweise im Kampf gegen die Wüstenbildung, die erforderlichen finanziellen Garantien hinterlegt werden. Auch unterstützen wir die Nichtregierungsorganisationen, wobei ein Kriterienkatalog gewährleisten soll, dass „green washing" vermieden wird und Aspekte wie Erhalt der Artenvielfalt oder Schutz der Menschenrechte berücksichtigt werden.

Und schließlich haben wir mit dem Finanzministerium und dem UN-Umweltprogramm eine „sustainable finance roadmap" ausgearbeitet, die helfen soll, dass unsere Finanzindustrie zu den Vorreitern bei der nachhaltigen Entwicklung und dem Angebot von klimafreundlichen Finanzprodukten gehört. Es besteht ein enormes Potenzial und es wird enorme Investitionen geben. Der Wettlauf zwischen den Finanzplätzen ist lanciert.

Luxemburger Wort: Bei den Finanzen und der Budgetpolitik besteht der Konflikt zwischen Tanktourismus und Klimaschutz. Wie wollen Sie beide Aspekte vereinbaren?

Carole Dieschbourg: Das Regierungsprogramm sieht ein konstantes Monitoring vor, weshalb eine Arbeitsgruppe von den betroffenen Ministerien eingesetzt wurde. Ein erster Schritt erfolgte im Mai, weitere werden folgen. Für mich ist klar, dass bei den künftigen Planungen der Klimaaspekt eine Rolle spielen muss.
Das ist eine Frage der Kohärenz.
Wir stehen vor einer großen Herausforderung, doch angesichts von zwei Drittel der CO2-Emissionen, die die Mobilität verursacht, können wir in diesem Bereich mit etwas mehr Kohärenz sehr viel bewegen. Im Übrigen war Luxemburg schon mit Nischen ohne Zukunft konfrontiert und fand Alternativen, wie das Beispiel der weggebrochenen Einnahmen aus dem elektronischen Handel belegt.

Luxemburger Wort: Den Klimawandel selbst bekämpfen ist eine Sache. Ein wichtiger Bestandteil des Pariser Abkommens von 2015 ist aber auch die Anpassung an den Klimawandel.

Carole Dieschbourg: Während die afrikanischen Länder schon lange mit den Auswirkungen konfrontiert sind, steckt das Bewusstsein in Europa noch in den Kinderschuhen. Dabei offenbaren die Extreme der vergangenen Jahre, dass wir uns über klassische Strategien hinaus anpassen müssen. Beispielsweise beim Wasser, das am meisten vom Klimawandel beeinflusst wird, ob nun durch Überschwemmungen oder die ausreichende Versorgung mit Trinkwasser. Unsere Strategie aus dem vergangenen Jahr umfasst 13 Handlungsfelder, wobei es mir bei der Umsetzung wichtig ist, die Gemeinden mit ihren Infrastrukturen über den Klimapakt mit im Boot zu haben.

Luxemburger Wort: Inwieweit können die jüngsten extremen Wetterphänomene sogar hilfreich sein, um die notwendige Bewusstseinsbildung bei den Bürgern zu fördern?

Carole Dieschbourg: Das Bewusstsein für die Herausforderung Klimawandel ist in jüngerer Vergangenheit bereits gestiegen, insbesondere bei den jugendlichen. Der Klimawandel mit seinen Auswirkungen ist nähergerückt und das merken die Menschen mehr und mehr in ihrem Alltag, zum Beispiel wenn sie zu einem sorgsamen Umgang mit dem Wasser aufgerufen werden.

Umso wichtiger ist es folglich, heute eindringlich zu handeln, um nicht morgen oder übermorgen in noch stärkerem Maß betroffen zu sein. Jeder muss verinnerlichen, dass wir uns keinen Klimaschutz nicht leisten können und sein Handeln entsprechend anpassen.

Luxemburger Wort: Sie haben den sorgsamen Umgang mit Wasser angesprochen. Wirtschaftliche Vorhaben wie Fage oder Google sind mit Blick auf dieses Kriterium politisch eigentlich nicht vertretbar.

Carole Dieschbourg: Es geht hier um die Frage der Gerechtigkeit und dementsprechende Entscheidungen. Ganz oft werden bloß die Fragen gestellt, was technisch machbar und was gesetzlich richtig ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Antworten für jeden richtig und gerecht sind.

Wichtig ist mir deshalb, dass die Bürger auf der Grundlage von Fakten eine Mitsprache erhalten und wichtig ist mir die Debatte, ob wir derart viel an Ressourcen verbrauchen wollen. Es gilt also zu unterscheiden zwischen den Prozeduren einerseits und der politischen Diskussion rund um die Ressourcen andererseits. Mit dem Wirtschaftsminister haben wir uns deshalb auch darauf verständigt, dass wir bei künftigen Projekten den Aspekt des Ressourcenverbrauchs nicht erst im Nachhinein thematisieren wollen.

Luxemburger Wort: Sie wollen in der Klimapolitik auch die Landwirtschaft, dié etwa neun Prozent der CO2-Emissionen verursacht, stärker in die Verantwortung nehmen. Eröffnen Sie dadurch nicht ein neues Konfliktfeld mit den Bauern?

Carole Dieschbourg: Das sehe ich nicht so. Da Luxemburg ein Grünlandstandort ist, können die Bauern in der Klimapolitik auch Teil der Lösung sein, weil dort, wie bei den Wäldern, CO2 gespeichert wird. Unser Ansatz muss sein, mit der Landwirtschaft eine breite Diskussion zu führen, die über das Klima hinaus die Bereiche Artenvielfalt, Gewässerschutz und Luftqualität umfasst - drei Bereiche, die direkt mit dem Klima zusammenhängen.
Gerade für die Familienbetriebe tun sich dann neue Chancen auf.
Wo anders als in der Landwirtschaft kann die Kreislaufwirtschaft besser mit Leben erfüllt werden.

Luxemburger Wort: Was die Artenvielfalt angeht, ist es nicht wirklich gut bestellt um Fauna und Flora. Welche politischen Akzente wollen Sie setzen?

Carole Dieschbourg: Wir müssen in der Tat feststellen, dass der Verlust der Biodiversität hierzulande noch nicht gebremst wurde. Mit dem neuen Naturschutzgesetz und dem Naturschutzplan verfügen wir mittlerweile aber über eine Arbeitsbasis, die helfen, Fauna und Flora zu schützen und zu erhalten. So haben wir für die Natura-2000-Gebiete bereits fünf Lenkungsgruppen eingesetzt. Diese Gebiete werden auf der Grundlage der europäischen Habitat- und Vogelschutz-Richtlinie definiert und werden partnerschaftlich verwaltet, das heißt, dass alle darin wirkenden Akteure in der Pflicht stehen, ihren Beitrag zu leisten, um mindestens den bestehenden Zustand zu wahren. Es zeigt sich, dass dort, wo konkrete Projekte verwirklicht werden, beispielsweise Renaturierungen, auch Fortschritte in puncto Artenerhalt verbucht werden. Folglich muss es uns gelingen, noch flächendeckender tätig zu werden.

Luxemburger Wort: Das neue Naturschutzgesetz hat einen langen Aus- und Überarbeitungsprozess hinter sich. Entspricht es den Erwartungen?

Carole Dieschbourg: Ein Jahr ist eher kurz, um eine erste Bilanz zu ziehen und ein erstes Urteil zu fällen. Was mittlerweile gut klappt, ist das Modell der Ökopunkte und der daran gekoppelten Kompensierungen von Flächenverbrauch. Große Hoffnungen setzen wir ebenfalls in die „comités de pilotage" der Natura2000-Gebiete. Da entsteht eine positive Dynamik, die ihre Früchte tragen wird. Was bis dato noch fehlt, ist, wie schon erwähnt, dass wir in der Breite noch stärker werden.

Luxemburger Wort: Wie gehen Sie damit um, dass es insbesondere Déi Gréng sind, die als Regierungspartei in der Kritik stehen?

Carole Dieschbourg: Déi Gréng sind gestärkt aus den vergangenen Wahlen hervorgegangen. Folglich ist es für mich klar, dass die Bürger uns auch bei wichtigen Themen erwarten. Dies stimmt umso mehr, als das Bewusstsein für derart relevante Themen wie Artenvielfalt und Klimaschutz größer geworden ist und gerade die Grünen als das Original gelten, wenn es um die politische Besetzung dieser Themen geht. Darüber hinaus steht jeder drei Koalitionspartner in der Pflicht, seinen Input zu leisten. Es ist eine gemeinsame Anstrengung.

Luxemburger Wort: Wie viel Überzeugungsarbeit für nachhaltige Themen ist denn nach sechs Jahren immer noch bei Liberalen und Sozialisten nötig?

Carole Dieschbourg: Man braucht Geduld, denn es ist kein Selbstläufer. Wir haben aber ein gutes, nachhaltig ausgerichtetes Koalitionsprogramm, das wir gemeinsam umsetzen wollen.

Luxemburger Wort: Was tut Carole Dieschbourg, um in ihrem Urlaub Abstand von der Politik zu gewinnen?

Carole Dieschbourg: Viel spazieren, Bücher lesen, Zeit mit Familie und Freunden verbringen.


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