Interview mit Carole Dieschbourg in der Revue

"Hohe Ambitionen"

Interview: Revue (Heike Buchler)

Revue: Welchen Stellenwert hat das Thema Abfall für eine Umweltministerin beim nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen?
Carole Dieschbourg: Abfallwirtschaft ist einer der Joker, die wir im Bereich Klimaschutz haben, deshalb hat das Thema einen sehr großen Stellenwert, vor allem das Reduzieren von Abfall. Wir brauchen einen Systemwandel, weg von der Wegwerfgesellschaft, die Abfall produziert, hin zu einer Kreislaufwirtschaft, in der wir Ressourcenschutz, Naturschutz und Klimaschutz vereinbaren können. In einem kleinen Land, das wenige eigene Ressourcen hat, ist Kreislaufwirtschaft zudem ein Jobmotor.
Revue: Abfall ist für Sie ein Thema des Klimaschutzes?
Carole Dieschbourg:  Absolut. Internationale Studien belegen, wie sehr der CO2-Ausstoß durch weniger Abfall verringert wird. Nehmen wir nur die Lebensmittel, die in der Mülltonne landen. Würden die nicht produziert, hätte man weniger CO2-Ausstoß und mehr Ressourcenschutz. Ähnlich ist es bei industriellen Prozessen. Neben der industriellen Fertigung ist auch der Bausektor ein Bereich, in dem der schrittweise Übergang zur Kreislaufwirtschaft einen Beitrag zum Ressourcen- und Klimaschutz leisten kann. Wenn man ein Gebäude von Anfang an so plant, dass es auch später einfach zurückgebaut werden kann, beziehungsweise wenn Materialien verwendet werden, die einen geringen CO2-Fussabdruck haben — mit der "PRIMe House" subventionieren wir ja schon einzelne Produkte und Materialien bei der Renovierung — dann ist das durchaus aktiver Klima-und Ressourcenschutz. Ferner werden wir mit dem neuen Abfallgesetz für die neuen, großen Gebäude ab 2025 einen Datenpass einführen, der ausweist, was genau alles verbaut wurde, damit diese Materialien bei einem Rückbau wieder getrennt und als Ressource wiederverwendet werden können.
Revue: Das neue Abfallgesetz, das Sie erwähnen, bekam viel Kritik. Unter anderem wurde bemängelt, dass die Bestimmungen über die EU-Direktive hinausgingen. Wieso tut man sich damit so schwer?
Carole Dieschbourg: Generell erfordert Veränderung viel Aufwand und führt zu Diskussionen. Ich stehe zu dem neuen Abfallgesetz. Die EU-Direktiven sind immer ein Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten und geben einen Handlungsspielraum bei der Umsetzung. Es ist genau dieser Handlungsspielraum, der bei der Umsetzung national mit konkreten Inhalten zu füllen ist. Die Bestimmungen der EU-Direktive geben Ziele vor, und es liegt an den Mitgliedstaaten, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Wenn wir in Luxemburg für einen ambitionierten internationalen Klimaschutz und Ressourcenschutz eintreten, so müssen wir auch in der Abfallvermeidung einen ambitionierten Ansatz wählen. Ich sehe das Abfallgesetz demnach im erweiterten Zusammenhang mit dem Klimaschutzgesetz.
Revue: Für manche scheinen die Ambitionen zu hoch zu sein...
Carole Dieschbourg: Worüber leider nicht so viel gesprochen und geschrieben wird, ist die Tatsache, dass wir im Zuge der Ausarbeitung zahlreiche Workshops angeboten haben, zu denen alle Stakeholder, und vorneweg die Bürger, eingeladen waren. Man sollte natürlich nicht außer Acht lassen, dass es verschiedene Sichtweisen auf den Abfall gibt und sich dort verschiedene, auch ökonomische Interessen in einem Spannungsfeld befinden. Ein klares Ergebnis aus den Workshops war jedoch, dass von Seiten der Bevölkerung das Bedürfnis besteht, eine kohärente Abfallpolitik zu bekommen, die auf dem Verursacherprinzip beruht, und somit die Abfallverursacher auch den Großteil der Kosten tragen sollen.
Revue: Abfallvermeidung ist in Ihrer Strategie das erste Gebot.
Carole Dieschbourg: Ja, das ist die große Herausforderung. Daher müssen wir die Wertigkeit der unterschiedlichen Ressourcen erkennen, die Lebensdauer unserer Produkte so weit wie möglich verlängern, bevor sie zu Abfall werden. Das ist die oberste Priorität. Erst danach kommt das Recycling ins Spiel. Unser Ziel ist es, so wenig wie möglich Abfall zu verbrennen. In dem Kontext wird also die Wiederverwendung von Produkten immer wichtiger werden. Begriffe wie Vermeidung, Mehrfachnutzung, Ausleihen, Teilen, Tauschen und Reparieren müssen wieder verstärkt in unserem Alltag Einzug halten, wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst nehmen wollen.
Revue: Das Programm heißt "Null Abfall". Ist das überhaupt möglich?
Carole Dieschbourg: Wenn eine Kreislaufwirtschaft funktioniert, so kann man sich dem Ziel zumindest annähern. Die Gesetzesvorlagen sehen vor, dass ab 2030 in Luxemburg kein Hausmüllabfall mehr deponiert wird. Wir deponieren aktuell nur noch zwischen drei und vier Prozent, liegen damit also heute schon unter der Direktive der EU, die eine Restmülldeponierung von maximal zehn Prozent vorschreibt.
Revue: Hatten Sie mit dem starken Gegenwind gegen das Gesetz gerechnet?
Carole Dieschbourg: Sobald man etwas in Gesetze packt, hat man Diskussionen. Es ist ja auch klar: Jeder hat seine Rolle zu spielen. Deshalb muss debattiert und diskutiert werden. Ich bin mir sicher, dass wir hinterher ein gutes Gesetz haben werden. Ein Gesetzestext ist immer ein Rahmen, der weitere Zusammenarbeit und Innovation ermöglicht. Es scheint mir auch normal, dass noch verschiedene Details fertig verhandelt und ausformuliert werden müssen.
Revue: Wurde in der Vergangenheit etwas verschlafen? Sind Fehler gemacht worden?
Carole Dieschbourg: Das würde ich so nicht sagen. Bereits 2013 war das Abfall- und Ressourcen-Management ein gut organisierter Bereich im Verwaltungsapparat. Vielleicht war es nicht immer so einfach mit der Zuweisung von Verantwortlichkeiten, das ist nicht einheitlich im Land geregelt. Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Syndikaten, auch in Bezug darauf, wie proaktiv man Müllvermeidung und -trennung mit den Bürgern angeht.
Revue: Das Thema Abfall ist sehr unübersichtlich. Da gibt es Syndikate, private Firmen, Non-Profit-Organisationen. Die Müllverbrennungsanlage wird von einer Firma betrieben, die mittlerweile in chinesischer Hand ist. Das ist ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Ist das ein Widerspruch?
Carole Dieschbourg: Im Bereich der Abfallwirtschaft — da steckt ja das Wort "Wirtschaft" bereits drin — wird Geld verdient. Der Sektor bietet viele Arbeitsplätze. Das ist an sich nicht schlecht, sofern garantiert wird, dass die Wertstoffe ordentlich getrennt und recycelt und somit der Kreislaufwirtschaft genüge getan wird. Wir müssen jedoch den Begriff in Zukunft weiter fassen und vielleicht weniger von einer "Abfallwirtschaft" und eher von einer "Ressourcenwirtschaft" sprechen. Die EU hat einen großen Berg an Direktiven bezüglich der Kreislaufwirtschaft aufgemacht, in allen Bereichen. Es geht nun darum, die linearen Geschäftsmodelle auf diese neue Form des Wirtschaftens umzubauen, indem den Produkten sowie den Komponenten der Produkte ein höherer Wert beigemessen wird.
Revue: Die SuperDrecksKëscht war in den letzten Monaten in den Schlagzeilen. In einem Audit kam jetzt heraus, dass juristisch alles korrekt gelaufen ist, aber man in Zukunft ein paar Dinge verbessern könnte. Was bedeutet diese Aussage für Sie, wenn Ihnen gesagt wird, dass eigentlich alles okay ist, es aber noch Potenzial für Verbesserungen geben würde?
Carole Dieschbourg: Das heißt für mich, dass wir auf einer Basis arbeiten, die über Jahre organisch gewachsen ist. Die SuperDrecksKëscht wurde in den 1990 er Jahren gegründet, weil damals eine Lösung gefunden werden musste, wie wir mit gefährlichen Stoffen umgehen und gefahrenlos entsorgen. Die Analyse der Prüfungsgesellschaft hat verschiedene Aspekte untersucht und Vorschläge für Verbesserungen gemacht. Es gilt nun, zu untersuchen, wie diese Verbesserungsvorschläge, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen, am besten umgesetzt werden können. Wenn man ein staatliches Unterfangen analysieren lässt, das über eine derart lange Zeit gewachsen ist, scheint es mir normal, dass es Potential für Verbesserung gibt. Dieses Potential wollen wir jetzt ausschöpfen.

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