Interview mit Joëlle Welfring im Télécran

"Wir sind dem EU-Ziel sehr nahe"

Interview: Télécran

Télécran: Frau Ministerin, nach Angaben der EU-Kommission befinden sich 81 Prozent der europäischen Lebensräume in einem schlechten Zustand. Wie sieht die Situation in Luxemburg aus?

Joëlle Welfring: Luxemburg ist diesbezüglich leider keine Ausnahme, 68 Prozent der europäisch geschützten Habitate befinden sich bei uns in einem ungünstigen Erhaltungszustand, 50 sogar in einem schlechten Zustand. Besonders kritisch ist die Lage dabei im Offenland. Aber auch der Zustand der Gewässer wird überwiegend schlecht bewertet. Rund 60 Prozent der Waldbäume in Luxemburg befinden sich in einem schlechten bis ganz schlechten Zustand, was man oft bereits mit dem bloßen Auge sieht. Grund hierfür ist unter anderem der Klimawandel mit den viel zu trockenen Sommern. Dieser schlechte Erhaltungszustand der Natur spiegelt sich auch im Erhaltungszustand der Arten wider. Da denke ich beispielsweise an die Vögel des strukturreichen Offenlandes, an Bestäuberinsekten oder zahlreiche Amphibien. Allerdings werden auch viele Anstrengungen unternommen, die ihre Früchte tragen: 28 Prozent unserer Landesfläche befindet sich mittlerweile unter einem Schutzstatus, was sich positiv auf Arten wie Kammmolch, Laubfrosch oder Biber auswirkt. Dennoch: Viele Arten, wie das Feldhuhn, sind extrem gefährdet. Daher wollen wir weitere spezifische Projekte ins Leben rufen, um diese besonders gefährdeten Arten und auch Gebiete zu schützen.

Télécran:Da knüpft dann auch das EU-Naturwiederherstellungsgesetz an?

Joëlle Welfring: Ja, als ein Baustein des "Green Deals", dem Initiativen-Paket, mit dem in der EU ein grüner Wandel vollzogen werden soll, um schließlich das Ziel zu erreichen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das ist übrigens — das möchte ich betonen — mit ein Verdienst der Jugend, die sich im Rahmen von Fridays for Future entsprechend eingesetzt hat. Und dieser Einsatz ist wichtig, denn wir müssen uns den Realitäten anpassen. Schaut man sich beispielsweise den Boden als Wasserreservoir an: Ein nicht gesunder Boden ist für den Anbau ungeeignet, er muss intensiver bewässert werden. Oder gefährdete Bestäuber, die wichtig für die Ernährung sind. Das wirkt sich auf die Lebensmittelproduktion aus — nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa und weltweit. Deswegen habe ich mich auch so stark für das Naturwiederherstellungsgesetz eingesetzt — und ich hoffe, dass es auch verabschiedet wird (eine Abstimmung war nach Reaktionsschluss für den 11. Juli vorgesehen, Anm. d. Red.).

Télécran: Wenn das Gesetz verabschiedet wird, was bedeutet das für Luxemburg?

Joëlle Welfring: Für Luxemburg kann ich sagen, dass wir bereits gut aufgestellt sind. In Anlehnung an die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 haben wir unseren Nationalen Naturschutzplan, den PNPN3, Anfang 2023 verabschiedet, der auf den vier Säulen "Schutz", "Restaurierung", "Governance" und "Internationale Zusammenarbeit" basiert. Eines der von der EU ausgegebenen Ziele lautet, ein europaweites Netz von Schutzgebieten zu schaffen, das 30 Prozent der jeweiligen Landfläche abdeckt. Unser Netz deckt derzeit bereits 28 Prozent ab. Wir sind also diesem EU-Ziel sehr nahe - was uns sehr wichtig ist, denn Umweltschutz endet nicht an der Landesgrenze.

Télécran: Welche weiteren Eckpunkte enthält das Gesetz?

Joëlle Welfring: Was den Aspekt der Wiederherstellung anbelangt, so werden die meisten Maßnahmen in Schutzgebieten durchgeführt. Besonderes Augenmerk wird auf die Suche nach Lebensräumen gelegt, die zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel beitragen, wie Lebensräume, die CO2 speichern. Schutz und Stärkung der Resilienz der Wälder als grüne Lunge ist von zentraler Bedeutung, nach dem Motto: Emissionen speichern, mit einer gesunden Natur. Auch die Anlage von Stillgewässern oder die Renaturierung von Flüssen und Bächen, also Zonen, die Wasser speichern und ein natürliches Wasserrückhaltevermögen ermöglichen, um Überschwemmungen abzumildern, sind wichtig. Ebenfalls sollen städtische Wärmeinseln durch innerörtliche Begrünung und der Entsiegelung von Flächen reduziert werden.

Télécran: Bei einer Verabschiedung des EU-Wiederherstellungsgesetzes ist also kein nationaler Wiederherstellungsplan notwendig?

Joëlle Welfring: Da solche Vorlagen bereits geraume Zeit vorher bekannt sind, konnten wir unseren nationalen Plan sehr eng an die EU-Vorlage anlehnen. Und wir haben viele Partner in den Dialog einbezogen, insbesondere Akteure aus der Landwirtschaft, aber auch Kommunalverbände mit ihren biologischen Stationen, Akteure aus dem Bildungsbereich sowie der Finanz- und Wirtschaftssektor. Dass es noch zu gewissen Anpassungen kommen kann, ist aber nicht ausgeschlossen.

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